Wie frei ist die Smartness? Zur Bedeutung der kulturellen Dimension von Digitalität

Frank Jebe

Die Frage „Wie frei ist die Smartness?“ zielt auf die Leistungslogik, das Gelingensversprechen und die Bildungspotenziale digitaler Anwendungen, die insbesondere bei der Digitalisierung von Schulen zur Debatte stehen, und setzt diese ins Verhältnis zur menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit sowie zur kulturellen Dimension von Digitalität. Einerseits wartet die Digitalisierung von Schulen mit Versprechungen und smarten Lösungen auf, welche die Schulen unfrei machen. So besteht die Gefahr, dass die Wahlfreiheit der Schulen, didaktische Einfälle oder künstlerische Prozesse systematisch verdrängt werden. Anderseits: Wer die Digitalisierung als kulturellen Prozess versteht, kann für die Gestaltung des Unterrichts vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und Bildungspotenziale jenseits technischer Determinanten entdecken. 

Insgesamt besteht die Schwierigkeit, die rasante Entwicklung der Digitalisierung angemessen zu beurteilen – zumal die Logiken digitaler Wahrnehmungs- und Darstellungsmaschinen uns in einem drängenden, aber auch im positiven Sinne herausfordern. Für die Schulen spitzt sich die Situation insofern zu, als sie aufgefordert sind, der Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden und die Digitalisierung schnellstmöglich voranzutreiben – nur wird ihnen dabei nicht viel Zeit gelassen. 

Was die Leistungslogik der digitalen Anwendungen angeht, so ist zunächst der Umstand augenfällig, dass die Entwicklung digitaler Materialität ganz wesentlich in einer verbesserten Geschwindigkeit, Miniaturisierung und einem höheren Auflösungsvermögen besteht. Zeitliche und räumliche Auflösungen überschreiten durch immer weiter verkleinerte digitale Strukturen immer deutlicher das Maß menschlicher Wahrnehmung: In Relation zur digitalen Erfassung von Welt erscheinen die menschlichen Sinne mittlerweile geradezu stumpf. 

Aus künstlerischer/kunstpädagogischer Sicht ist zudem die „Gelingensgarantie“ von digitalen Anwendungen zu hinterfragen. Sicherlich ist es von Vorteil, wenn Apps wie „Stop Motion Studio“ unmittelbare Gestaltungserfolge ermöglichen. Allerdings werden dabei nicht nur Prozesse des künstlerischen Scheiterns verdrängt, sondern aufgrund vordefinierter Muster auch komplexe Lebenszusammenhänge zu Klischees der Weltdeutung simplifiziert.

Vielleicht sind es nun gerade die Künste, die uns diese zugespitzten Situationen besonders gut vor Augen führen – zumal die künstlerischen Herangehensweisen und kulturellen Aktivitäten häufig alles andere als smart sind. Der Kunstunterricht an Schulen kann Kindern und Jugendlichen ästhetische Zugänge zur Welt eröffnen und zur Reflexion über die kulturelle Bedingtheit des Digitalen anregen. In diesem Zusammenhang sind folgende Aspekt zu berücksichtigen:

  • Zunächst einmal gilt es, die Schärfung der Sinne nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Schulische Bildung „ist ein besonders geeigneter Weg zur Entwicklung der menschlichen Sinne; sie trägt damit entscheidend zur Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeit bei: Differenzierte Formen des Hörens lernen Menschen durch Musik, differenzierte Formen des Sehens durch Bilder, differenzierte Formen der Bewegung durch Tanzen.“ (Rat für Kulturelle Bildung 2014: 12.) Der Kunstunterricht bietet eine Möglichkeit, Bilder und Töne zu hinterfragen und so einen kompetenten, selbstbestimmten und kritischen Umgang mit digitalen Medien zu lernen.
  • Weiterhin ist die digitale Welt dadurch gekennzeichnet, dass viele Dinge in Erscheinung treten, aber vieles zugleich im Verborgenen bleibt. Das, was sich entzieht, sind die verborgenen Strukturen und Entscheidungen der digitalen Welt. Was im Alltag eher selten reflektiert wird, kann in Schule erfahrbar werden: Sie kann sensibilisieren für die Art der Wahrnehmung, kann Aufmerksamkeit schaffen dafür, wie wir etwas wahrnehmen und wie Texte, Bilder, Töne und Bewegungen generiert werden.
  • Digitale Materialitäten tragen zunehmend zur Veränderung materieller Umwelten bei, indem sie neuartige, hybride Materialien und Gegenstände hervorbringen. Die neuen Materialitäten und die mit ihnen einhergehenden digitalen Redefinitionen von ästhetischer Praxis sind Herausforderung und auch Potenzial für die Schule.
  • Die Digitalisierung ermöglicht das Auswählen, Zusammenführen und die Bearbeitung von bestehenden Bildern und Klängen zu neuen Sinn- und Handlungszusammenhängen. In der digitalen Welt wird anschaulich, inwiefern thematische und strukturelle Verwandtschaften in den Künsten über die Jahrhunderte, Stile und Länder hinweg bestehen, die bisher noch als lineare Zusammenhänge veranschaulicht werden. Die durch die Digitalisierung bedingte Referenzialität enthält zudem partizipative Elemente und begreift die Schülerinnen und Schüler als Co-Produzenten (Rat für Kulturelle Bildung 2019:44-47). 

Wenn man der Überlegung folgt, dass die Digitalisierung mehr als technische Ausstattung von Schulen oder technikgestützte Selbstvermessung ist, die etwas Neues hervorbringen, kann auch in der Schule / im Kunstunterricht eine Kultur der Digitalität entstehen – sowohl analog als auch digital. Vermutlich muss dabei nicht einmal alles smart sein.