PROF. DR. MIRJAM SCHAUB
Burg Giebichenstein, Halle
KUNSTPÄDAGOGIK UND PHILOSOPHIE
Der audio-visuelle Kontrakt des Kinos – A Clockwork Orange und das Ende der „Wohlfühlpädagogik“
Bildung ist das Versprechen, eine Kultur zu entwickeln, die selbst radikal Unvertrautes und Unbekanntes versteh- und handhabbar macht. Ein selbstkritischer Bildungsanspruch wird daher niemals primär auf den Erwerb von Faktenwissen (das nicht eben zur Identifikation anstiftet) setzen, sondern ethische Haltungsbildung (Selbsterziehung) und ästhetische Stilbildung umfassen. Dabei fällt dem Film eine besondere Rolle zu, handelt es sich doch um ein so immersives wie suggestives Medium. Das ist nicht allein der Verdunkelung des Kinosaals geschuldet, sondern auch der (zumeist) synchronen Inszenierung von Bild- und Tonspur. Der mit Schock und Überwältigung operierenden Sehschule des Kinos begegnen philosophische Blicktheorien daher gern durch eine unterstellte Komplizenschaft zwischen ZuschauerIn und Filminszenierung. Dabei wird bewusst auf einen behutsamen Bildungsbegriff verzichtet. Fern jeder „Wohlfühlpädagogik“ stellt ein Klassiker wie Stanley Kubricks A Clockwerk Orange (1971) weniger Gewalt als ästhetisch gerechtfertigt, denn Pädagogik (egal, welcher Couleur) als Umerziehungs- und Gängelungsmaßnahme, als eine perfide Form des seelischen Missbrauchs heraus. Der Vortrag versucht einen philosophischen Beitrag zu leisten, um den oft hehren Vermittlungsanspruch der Pädagogik mit der eher gewalttätigen „Episteme eigenen Rechts“ (D. Mersch) der zeitgenössischen Kunst ins Benehmen zu setzen.
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MIRJAM SCHAUB ist seit 2017 Professorin für Philosophie an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle a.d. Saale und war vorher seit 2012 Professorin für Ästhetik und Kulturphilosophie am Department Design der HAW Hamburg. Sie war eine der Gründungsmitglieder der künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenschule „Performing Citizenship“ (2015-17), einer Kooperation aus HafenCity Universität, Fundustheater, der Tanzplattform K3 und der HAW. Sie studierte in Münster, München, Berlin und Paris Philosophie, Politikwissenschaft und Psychologie und ist ausgebildete Redakteurin (Deutsche Journalistenschule in München). Sie promovierte über die Kinobücher von Gilles Deleuze (2001) und habilitierte über den Beispielsgebrauch in Philosophie und Ästhetik (2009). Danach ging sie für 18 Monate mit der Alexander von Humboldt Stiftung nach Edinburgh an das Institute for Advanced Studies in the Humanites (IASH). Ihre besonderen Forschungsinteressen liegen in der Kunst- und Kulturphilosophie. Sie arbeitet z.Zt. an zwei Monographien: „Terror und Theorie. Ästhetik und Interessen der 1968er“ (voraus. 2019); „Performing Radicalness: an Unhold History of Pop Culture“ (voraus. 2020).