Aus der Unterrichtspraxis: Gender – Kunst – Stücke
Was hat ein Schrei aus einer über den Kopf gestülpten Kiste, Wunschgeschichten handgeschrieben auf Papierröcken, übermalte Grimassen-Fotos, ein weißer Spitzen-BH über einem Jogginganzug eines tanzenden Jungen oder das Verschmelzen des eigenen Gesichts mit einem Schachkönig in einer Collage miteinander zu tun?
Sie sind Gender– Kunst – Stücke: Material, Ergebnisse oder Momente eines Kunstunterrichts, der auf Prozesse setzt und der implizit oder explizit versucht, stereotype Vorstellungen von Geschlecht und statische Vorstellungen von Identität lustvoll aufzuweichen oder zu transformieren. Das Spiel mündet in die akkurate Arbeit am künstlerischen Ergebnis – ob Fotoinszenierung, Performance, Film oder Objekt. Hier spielt dann nicht das Thema die erste Rolle, erst recht nicht seine Darstellung, sondern die Herstellung und die Arbeit an der Form steht im Fokus, einer Form, die ambivalente Erzählungen möglich machen soll.
Einige Beispiele aus der eigenen Unterrichtspraxis in Ober- und Mittelstufe an einem Gymnasium werden im Vortrag vorgestellt und unter den Aspekten Gender, Diversität und Körperlichkeit diskutiert.
Man kann sich fragen: Wie können altersbedingte Scham oder Unsicherheiten von der Freude an der Entdeckung und Überschreitung verdrängt werden? Warum gelingt diese provozierte Bewegung im Kunstunterricht manchmal nicht? Sind die Methoden des Dekonstruierens von stereotypen Geschlechterbildern in einem Alter adäquat, das von Bedürfnissen nach Orientierung und Gewissheiten geprägt ist?
Was sind die personellen und räumlichen Voraussetzungen für diese Projekte? Wo stößt das aufgeklärte Selbstverständnis der Lehrenden trotz viel Wohlwollen an seine Grenzen?
Wie gelingt es für alle einen Raum der Freiheit und Intimität herzustellen, insbesondere für diejenigen Schüler*innen, die nicht das Privileg eines in dieser Hinsicht offenen Elternhauses genießen durften?
Die Projekte zeigen: Ein genderfluider Ansatz gelingt dann, wenn die Methoden der Dekonstruktion herausfordernd, der Sog des entstehenden Bildes stark genug und das Probehandeln in einem Schutzraum stattfindet und von einem Augenzwinkern begleitet wird.
_______________________
Christine Biehler
Christine Biehler (*1964 in Landau/Pfalz) ist Bildende Künstlerin und Kunstvermittlerin und arbeitet in der Nähe von Frankfurt am Main. Seit 30 Jahren stellt sie europaweit aus und bekam zahlreiche Preise und Stipendien. Der Schwerpunkt ihrer bildnerischen Arbeit sind ortsspezifische Rauminstallationen und prozessuale Skulpturen.
In ihrer pädagogischen Arbeit an diversen Universitäten und einem Gymnasium sind ebenfalls Kontextreflexion und Performativität die leitenden Parameter.